Iren ist menschlich – Kapitel 3 Killarney

IMG_2458Im Grunde ist es relativ müßig, über den einsetzenden irischen Regen zu schreiben. Es ist ganz normal. Und vor allem ist er immer präsent. Es hat zum Ende meines Essens und zu Beginn des Regens auch noch eine recht erfrischende Komponente, über die man lachen könnte. Da kommt ein kleiner Schauer und dann wird es schon wieder. Irische Verhältnisse eben, meint der Kenner schulterzuckend. Wenn sich dieser Schauer aber im weiteren Verlauf der Wanderung alle halbe Stunde wiederholt, ebbt irgendwann auch die größte Fröhlichkeit des Durchnässten ab. Denn nachdem ich die Gastronomie verlassen habe und weiterwandere, merke ich, wie meine Kleidung dem Dauertest wieder nicht gewachsen ist. Der Regenschirm und die Jacke geben nach, die Jeans trieft und Wind und Wasser dringen in alle möglichen Ritzen der Textilien. ›Ob der Herr Wolfskin hier doch besser wäre?‹, frage ich mich wie bereits am Vortag. Nein, wohl kaum, denn Wasser bleibt Wasser und hier entscheidet eindeutig die Menge. Allerdings wird selbst die schönste Natur nur zu einer nebulösen Erscheinung, wenn sie durch ein Fadenmeer von Regen betrachtet wird. Und die Gefühlslage des Betrachtenden ist nicht unerheblich für den Genuss. Da mir inzwischen das Wasser überall steht, nicht zuletzt bis zum Hals, verwischt die Ursprünglichkeit und Schönheit der Umgebung etwas und ich sehne mich nach meiner Ferienwohnung, dem Kamin und einem Irish Coffee.
In meiner Vorstellung läuft ein Urmensch durch Irland und ich bin mir sicher, dass er elendig an einer Lungenentzündung verreckt ist, bevor überhaupt nur in die Nähe einer Beute kommen konnte. Er hatte wahrscheinlich nicht einmal die Chance, zu verhungern. In diesem Moment verstehe ich alle Auswanderer. Irland war schon immer geprägt von Armut, Hungersnot und fanatischem Glauben. Vor allem aber von Emigration. Millionen von Menschen zog es aus Irland weg. Ich liebe dieses Land wirklich und kann mir sogar vorstellen, dort zu leben. Aber an manchem Tag kann einen der Regen echt nerven und ich könnte sofort emigrieren, obwohl ich noch gar nicht integriert wurde. Selbst als Hilfs-Iren darf mir das passieren. Ich glaube auch nicht, dass die Mehrzahl der Iren, sollten sie völlig durchnässt im Regen stehen, diesen Zustand als erstrebenswert und angenehm empfinden. Nein, unmöglich! Da wären Armut, Hunger und Religion auf Dauer leichter zu ertragen.
Trotzdem laufe ich weiter. Meine Augen nur noch zu Schlitzen zusammengezogen, um einen Minimalschutz gegen die nun peitschenden Schauer zu haben, bewege ich mich Schritt um Schritt nach vorn. Ich habe die Hoffnung, dass es aufhören wird. Irgendwann einmal. Dann aber sehe ich durch die verengten Augenlider diesen unglaublich prächtigen Wuchs der Pflanzen, das Leben und den unbändigen Drang des Wachsens und mir wird schlagartig klar, dass das alles nur durch Wasser möglich ist. Durch viel Wasser. So viel Wasser, dass inzwischen auch meine Schuhe den Geist aufgeben. Alles passt sich der Umgebung an. Die Schuhe werden eins mit jeder Pfütze und auch ich bestehe nun sehr wahrscheinlich zu über achtundneunzig Prozent aus Wasser. Es entsteht eine symbiotische Beziehung zu meiner Umwelt. Nur worin besteht mein Vorteil?

Iren ist menschlich – Kapitel 2 Tralee

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Hierher kommen die Einheimischen und Touristen. Man kann sie gut auseinanderhalten. Nur die Touristen glauben, »Jack Wolfskin« oder »The North Face« können sie vor den Widrigkeiten des irischen Wetters bewahren. Die Einheimischen aber sind völlig normal angezogen, als gäbe es dort draußen nie Regen oder aber als würden sie ihn nicht abbekommen. Der irische Regen ist für die Touristen reserviert, damit sie zu Hause erzählen können, dass es in Irland ganz schön oft regnet. Sehr verbreitet ist bei den Touristen ganz offensichtlich der Hang zur »Outdoor-Ausrüstung«, als würde kurz hinter Tralee das Basislager vom Mount Everest liegen. Schwere Wanderschuhe, funktionale Hosen aus modefernen Stoffen und über dem ebenfalls funktionalen Shirts aus Hydromesh die obligatorische Jacke vom Jack oder eben »North Face«. Paare neigen dazu, selbige, völlig hässliche und im besten Fall »praktische« Trikotagen in unterschiedlichen Größen, aber in jedem Fall gleich zu tragen. Möglicherweise gab es einen Rabatt, aber vielleicht ist der Rabatt für identische Paarkleidung auch der Anfang vom Ende der Beziehung. Während ich in meinem Kaffee rühre, denke ich über diesen Aspekt des menschlichen Miteinanders nach. Ja, wenn Nützlichkeit die oberste Maxime in der Partnerschaft wird, ist wohl das Ende erreicht. Nur der innere Buchhalter eines jeden wird befriedigt auf das Kontenbuch aus meine, deine, unsere schauen und einen angenehmen Saldo bei »unsere« feststellen. Doch so ein Buchhalter in der Seele hat eben kein Herz und in der Folge ist die gleiche Outdoorjacke das letzte verbindende Element eines sich verlierenden Paares. Womöglich habe ich aber die nächste Stufe der Erleuchtung noch nicht erreicht und die anderen machen es genau richtig. Dann gibt es den Homo oeconomicus auch in der Beziehung und zweckrationales Handeln ist das höchste der Gefühle.
Dabei brauchen weder Paare noch Einzelreisende in Irland solche Kleidung. Festes Schuhwerk, eine normale Jeans und eine Jacke reichen völlig aus. Bei einem Regen stellt man sich unter oder flüchtet in ein Café oder in einen Pub. Und selbst wenn man durch den Regen nass wird, was dann? Ein bisschen Wasser, Ursprung des Lebens auf der Haut, kann nicht schaden. Etwas lebendiges und wahres, durch das wir noch merken, dass wir ein Teil der Natur sind. Ich schaue auf die Touristen und frage mich, ob das Leben von ihnen abperlt. Genauso, wie von ihren teuren, imprägnierten Jacken.
Die Iren strahlen immer eine gewisse Verbundenheit mit der Natur aus. Mag es auch nur meine Projektion sein, weil ich sie so sehen will und in ihrem wirklichen irischen Leben haben sie die gleichen alltäglichen Sorgen und Nöte wie wir. Dabei gehen ihnen, genau wie uns, die wichtigsten Dinge im Leben verloren, weil sie in einem irischen Hamsterrad gefangen sind, aus dem sie auch nicht einfach aussteigen können. Und selbst wenn ich sie am Ende nur so sehen will, erscheinen zumindest die Damen im Café, die offenkundig zum Mittagessen hier sind, sehr entspannt, ganz ohne Zeitdruck und Hektik. Sie reden womöglich auch nur über die Alltagsprobleme, die jeder hat, aber sie wirken locker und dem Leben auf eine herzliche Art und Weise zugewandt. Vor allem scheinen sie gänzlich ohne Funktionskleidung durch den Regen gekommen zu sein. Wie sie das wohl anstellen, kann man sich als Tourist nur fragen.

Jetzt malt er auch noch …

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Mark Jischinski: „Leere beginnt im Kopf“,
Nichts auf Leinwand, 2015, 150 x 100 cm, in Privatbesitz

„Die klare Reinheit besticht und der Betrachter fühlt, wie sich die Leinwand lebhaft aus dem Nichts befreien will. Eine Anklage gegen das Zuviel, eine Rebellion des Geistes gegen den Overload der Gesellschaft. Ein Meisterwerk der visuellen Entschleunigung.“
(Grevenbroicher Kunstbote)

„Die unbestechliche Verbindung zwischen den einzelnen Punkten des Nichts schafft einen evidenten Strudel, der mich mit dem Bild in die transtemporalen Welten des Nihilismus zieht. Das Nichts als dem Leben immanente Grundlage für Alles. „Leere beginnt im Kopf“ ist das künstlerische Apriori zur Frage nach dem Sinn. Mit Jischinski leuchtet ein neuer Stern am Nichts des Künstlerhimmels.“
(Tadeus Punkt, Malen nach Zahlen, Vierzehnheiligen)

„Ein gelungener Balanceakt zwischen Lebensbejahung und unausgesprochenem Pessimismus! Dem pathetischen „Je suis …“ schleudert der Künstler ein mutiges „Je ne pas …“ entgegen. Ein brisantes Bild, hochpolitisch, ja gewagt. Radikal frei in seiner Anklage, nichts beschönigend mit klarer Aussage und mit etwas, das dieser Gesellschaft mehr und mehr fehlt: Rückgrat.“
(L’artiste perplex, Paris)

Iren ist menschlich – Kapitel 2 – Tralee

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Tralee ist nicht weit entfernt von Dingle. Es ist deutlich größer, aber mit knapp zwanzigtausend Einwohnern noch lange keine Großstadt. Es gibt eine Menge Geschäfte und dabei sind nicht nur die netten kleinen Tante-Emma-Läden, Herrenausstatter und Craftshops, sondern auch richtig große Ketten wie Dunnes Stores und TK Maxx vertreten. Vor allem gibt es in Tralee das schönste Café überhaupt. Mary Anne’s Tearooms in der Denny Street. Mary Anne Hickey und ihr Mann Bartholomew kamen von einer Farm in Castleisland. Sie hatten zehn Kinder und 54 Enkel, von denen die heutige Inhaberin des Cafés eine ist. Mary Anne liebte das Backen und unterhielt gern ihre Freunde und Familie bei sich zu Hause. Die »Tearooms« sind ihr gewidmet. Dabei ist das Café selbst vor allem kitschig. Eine Puppenstube in groß. Bunt gepunktete Wachstuchtischdecken, Gestecke aus künstlichen Blumen und aus den Lautsprechern dringt Musik aus den 20ern. Zwei überschminkte Kellnerinnen laufen in aller Gemütsruhe über die braunen, abgewetzten Dielen. In einem großen, offenen Kamin lodern Flammen und hüllen den Raum in eine behagliche Wärme. Ich setze mich und bestelle einen Kaffee und Scones mit Früchten. Blumendekore in rosa und vielen Pastelltönen lachen mich aus jeder Ecke an und neben diversen Torten, Scones und Apple Pie warten Muffins mit Zuckerglasur in grellem rosa, gelb oder grün auf Käufer.
An den Fenstern hängen Raffrollos mit Glockenblumen und Orchideen in rosa auf mintgrünem Hintergrund. An den Wänden prangen goldumrandete Teller mit Blumen in blau, gelb und, kaum überraschend, rosa. Um mich herum sitzen an vier Tischen acht Frauen, die paarweise reden und reden. Und reden. Ich muss unweigerlich an Mark Twains »Das Tagebuch von Adam und Eva« denken: »Mir wäre völlig egal, was sie ist, wenn sie mich einfach nur in Ruhe lassen und nicht reden würde.«

(Ausschnitt aus »Iren ist menschlich«, erscheint am 22.04.2015)

Iren ist menschlich – Kapitel 1 – Dingle

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Dingle heißt nach der alten gälischen Sprache »An Daingean« und das bedeutet so viel wie »Festung«. Sie ist nach den Auskünften der Reiseführer die westlichste Stadt Europas. Dahinter kommen nur noch winzige Nester, Häuseransammlungen von nicht nennenswerter Größe, ein paar Hundert Schafe und dann nur noch Wasser, bis Amerika zu sehen ist. Die Stadt ist mir sympathisch. Nicht nur wegen der geballten Eindrücke von Wetter, Wind, Sonne und Meer. Auch nicht, weil als nächster größerer Ort in westlicher Richtung eine Stadt in Amerika kommt. Eintausendfünfhundert Menschen und deren Gäste teilen sich in dieser Stadt zweiundfünfzig Pubs. Für einige mag dieser numerische Fakt ein Hinweis auf offen gelebten Alkoholismus sein. Für mich ist es Zeichen purer Gastfreundschaft und Gemütlichkeit. Wenn auf jeden dreißigsten Einwohner ein Pub kommt, können diese Menschen unmöglich schlecht sein.

Iren ist menschlich

Iren ist menschlich  COVER

Irland ist ein Sehnsuchtsort vieler Reisender, die das raue Klima des Landes lieben und die Herzlichkeit der Menschen. Es soll dort 40 Schattierungen von Grün geben, eine Menge Bier und Whiskey, vor allem aber Natur, Ruhe und Zeit. Nicht selten ist das Reisen nach Irland ein inneres Ankommen. Im Tagebuch Iren ist menschlich geht es um eine Zeit in Dingle, Tralee und Killarney. Um die Fahrt auf dem Ring of Kerry und die Wanderungen durch urwüchsige Natur, Torffelder und Elfenwälder. Es geht vor allem aber um Einsichten und Ansichten, um das Leben und wie es uns verändert. Wie wir uns verändern, was wir vom Leben erwarten dürfen und wie es um die Glücks- und Schatzsuche unter dem Regenbogen bestellt ist. Ein irisches Tagebuch – subjektiv, nachdenklich und sehr persönlich.