Ich habe alles perfekt vorbereitet. Eine Frau würde diesen Aufwand betreiben, wenn sie dem künftigen Papa von der Schwangerschaft in Kenntnis setzen will. Der Tisch ist fein gedeckt, ich habe gekocht und sogar an die Servietten gedacht. Selbstverständlich zu Seerosen gefaltet. Karla wird staunen.
Endlich sitzt sie vor mir, das Knistern in der Luft können die Nachbarn hören und sie schaut erwartungsfroh zu mir.
»Karla, du wirst es kaum glauben!«, platze ich heraus. »Ich werde im Kultur- und Kongresszentrum vor sechshundert Frauen lesen!«
Ich nehme eine Pose an, die irgendwo zwischen »Ein kleiner Schritt für mich, aber ein großer für die Menschheit« und »Ich bin ein Berliner!« liegt, greife zum Weinglas und erhebe es voller Freude. Karla kann offenkundig meinen Enthusiasmus nicht im Entferntesten teilen. Gelangweilt greift sie zum Glas, führt es in meine Richtung und mault: »Allein?«
Ich spüre sie bereits im kleinen Zeh. Dann kriecht sie hoch, passiert meinen Geschlechtstrakt unbemerkt und macht sich in meinem Bauch breit. Wut. Unbändige Wut, die genügend Kraft freisetzen kann, um Karla mit einem Satz an die Kehle zu springen und ihrem ungerechten Dasein ein Ende zu setzen. Wut, die ausreicht, um die Seerosenservietten in ihren wohlgeformten Mund zu stopfen, bis diese wunderschönen blauen Augen aus den Höhlen treten und aus ihren feinen, aus mir völlig unerklärbaren Gründen gänzlich unbehaarten Nasenlöchern ein letzter Rotzfaden fließt und schließlich das Röcheln endet. Doch statt das Sinnvollste zu tun, entfährt es meinem Mund: »Nein! Mit den Donkosaken! Und im Vorprogramm von Helene Fischer.«
Ich weiß genau, dass ihre Schlangenseele mit diesem »allein« nicht die Besetzung der Bühne und die Lesung an sich meint. Die Glucke in ihr will sicherstellen, dass keine der sechshundert Frauen in mein Beuteschema passt und deshalb will sie hinter dem Vorhang mit Laserblitzen aus ihren Augen jede Metze niederstrecken, die auch nur im Entferntesten Avancen erahnen lässt, sich mir zu nähern. Statt mir meinen Erfolg neidlos zu gönnen, weckt diese große Chance niedere Instinkte bei meiner Karla. Ich bin so enttäuscht von ihr. Und noch immer wütend.
»Ich wollte doch nur wissen, ob es der einzige Programmpunkt ist, da musst du mich nicht gleich so anfahren!«
Im Geiste sehe ich Karla eine dreijährige Lehre als Schmied in den nächsten drei Wochen erfolgreich absolvieren, um mit großer handwerklicher Meisterschaft einen Keuschheitsgürtel als purem Stahl für mich zu fertigen. Frauen können so etwas. Aber vielleicht meint sie es ja wirklich ehrlich, wer weiß. Frauen sind so undurchschaubar. Für einen Moment bereue ich es, nicht mit einem Hund zusammenzuleben. Der hätte mir andächtig gelauscht, mit dem Schwanz gewedelt und mich angelächelt. Dann hätte er ein Leckerli bekommen und mir durch das Lecken seiner Eier gezeigt, wie einfach es sein kann, ohne eine Frau zu leben. Stattdessen sitzt Karla vor mir und sieht mich noch immer unbeeindruckt an.
»Nein, ich bin nur ein Programmpunkt von vielen, aber es ist immerhin eine große Chance!«
»Und wann soll das sein?«, fragt sie so freundlich, als wäre sie plötzlich mein weiblicher Kumpel.
»Zwei Tage vor dem Frauentag. Die Damen bekommen ein Potpourri aus verschiedenen Programmpunkten wie Musik, Kabarett, Klamauk, Striptease und eben Lesung. Ein bisschen Kultur muss ja auch sein.«
»Das freut mich total für dich! Und da kommen wirklich sechshundert Frauen? In Gera? Wie alt sind die denn? Über oder unter hundert?«
Karla lacht. Ich finde das keineswegs witzig. Der Durchbruch ist nah und Karla witzelt auf meine Kosten.
»Laut Veranstalter sind alle Altersgruppen vertreten. Also ab dreißig und sicher auch bis in die sechzig. Aber überleg doch mal! Sechshundert Frauen!! Und ich lese dort.«
Karla steht auf, nimmt mich bei der Hand und zerrt mich ins Schlafzimmer. Während sie die Tür hinter uns schließt, sagt sie zwischen wilden Küssen: »Dann werde ich mal dafür sorgen, dass du trotz aller Aufregung ruhig schlafen kannst.«
Die Nächte vor dem großen Tag kann ich nicht nur durch Karla gut schlafen. Ich bin einfach bereit. Kultur- und Kongresszentrum, pah! Ich kann auch in der O2-Arena lesen oder in Wembley vor einhunderttausend Frauen. Im Geiste sehe ich mich bereits vor der größten Sammlung weiblicher Kleidungsstücke, die je bei einer Lesung zusammengetragen wurden. Tangas, BHs und Pantys erwarte ich. Papierberge mit Telefonnummern. Eine Lesung vor sechshundert Frauen im Kultur- und Kongresszentrum kann nur ein Erfolg werden.
Am Tag der Veranstaltung stehe ich erwartungsfroh in den heiligen Hallen. Die Tische vor der Bühne sind gedeckt, emsig wuseln Kellnerinnen durch die Gänge und richten letztmals Servietten, Teller und Tassen. Für das Frauenvolk haben sich im Foyer diverse Anbieter breitgemacht. Kosmetikstudio, Laserhaarentfernung, Sport mit Babys, Sport ohne Babys, Yoga und ein Erotikshop. Die Frauen werden begeistert sein.
Dann öffnen sich die Schleusen, durch die sich gleich östrogenschwangere Horden kultur- und literaturbegeisterter Damen aus Gera, Ostthüringen, ja der Welt in die heiligen Hallen ergießen. Ich warte gespannt mit den anderen. Minute um Minute verrinnt. Sie müssen doch gleich da sein? Wo bleiben die nur? Ich habe doch diese AXE-Werbung mit den rennenden Weibern und den wogenden Brüsten gesehen und sogar selbst ein frisches Deo aufgelegt! Gleich kommen sie den Gang auf mich zugelaufen wie Bruce Willis und die anderen Helden in »Armageddon«. In meinen Ohren entfaltet eine heroische Musik orchestrale Wellen, als ich die erste Reihe erblicke, die Musik sofort verstummt und mein Mund aufklappt.
Es wird keine Tangas und BHs regnen. Im besten Fall sind es Stützstrümpfe und Gebisse. Statt der Telefonnummern werden es die Kontaktadressen diverser Pflegedienste. Ich bekomme unendlich großen Durst. Verlangen nach einem alkoholischen Getränk. Ich sehe hellgraue Haare, dunkelgraue und blaue. Die meisten Damen können sich noch frei bewegen, nicht wenige aber kommen mit Unterstützung von Rollatoren auf mich zu. Es sind keine scharfen Miezen zwischen dreißig und fünfundvierzig dabei. Es sind Frauen mindestens jenseits der sechzig, die zu einem Kaffeekränzchen für Hochbetagte kommen. Solche, die froh sind, den Alten für ein paar Stunden für ein Stück Kuchen, einen Kaffee und Eierlikör allein Trübsal blasen zu lassen oder die die immergleichen Heiminsassen sich und ihrem Schicksal überlassen.
In Schockstarre verbringe ich die Zeit bis zu meiner ersten Lesung. Ich werde anmoderiert, gehe auf die Bühne, lächle in das Dunkel und zu den Seniorinnen in den ersten drei Reihen. Tief durchatmend setze ich mich, rücke das Mikro zurecht und beginne zu lesen. Nach einer gefühlten Minute wenden sich die Damen ihren Gesprächen zu. Kaum eine nimmt Notiz von mir. Wenn ich das noch meiner Oma erzählen könnte, würde sie mir kein Wort glauben. Kein Anstand, nicht im geringsten. Ich glaube, dass ich von der Bühne gehen könnte, ohne dass sie es merken. Doch ich lese die Geschichte zu Ende und verabschiede mich brav. Nach diesem Erlebnis steuere ich zielgerichtet zum Stand der Kollegin Huster, die zielgruppengerecht gedacht und ihren Stand mit Heiltees, Kräuterkissen und Eierlikör ausgestattet hat. Ich trinke direkt aus der Flasche und warte geduldig bis zu meinem zweiten Auftritt.
Wieder gehe ich auf die Bühne. Die Damen blicken, soweit sie es können, nach oben und wenden sich dann wieder ihren Nachbarinnen zu. Ich überlege kurz, ob ich etwas sage wie: »Hallo, nach einer kleinen Menopause bin ich wieder für Sie da!«
Doch ich komme hier mit feinem Humor nicht weiter. Deshalb sage ich: »Ich habe das Gefühl, dass Sie mir vorhin nicht zugehört haben. Das kann aber auch an mir liegen und deshalb«, ich erhebe mich und lege das Buch zur Seite, »werde ich für Sie strippen.« Während ich beginne, mein Hemd auszuziehen, wird der Raum kurz in Stille gehüllt, gefolgt von rhythmischem Klatschen und lautem Johlen. Wenn das der Opa wüsste! Da lässt er die Olle zum Kultur- und Kongresszentrum wackeln und das alte Luder geifert durch das Kassengebiss, während sich ein mittelmäßiger Schriftsteller das Hemd vom Leib reißt! Ich bin erschüttert! Das Hemd werfe ich auf den Boden, ich setze mich und sage, dass ich nun doch lesen werde. Diese verdammten Schachteln beginnen zu schnattern. Ich bringe die Geschichte hinter mich und gehe dann hinter die Bühne. Dort angekommen habe ich wieder ohnmächtigen Durst. Der DJ spielt Musik zur Überbrückung bis zum nächsten Programmpunkt. In diesem Moment kommt eine Oma zu ihm. »Können Sie bitte die Musik leiser machen?«, schreit sie ihn an. Sie hat eine Brille, dick wie Panzerglas auf ihrer Nase. Der Star aus Gera. Wahlweise in grau oder grün. Ich schaue dem DJ in die Augen, wir nicken einander zu und ich renne in Rekordgeschwindigkeit zu meiner nächsten Flasche Eierlikör. Beinahe schaffe ich es. Leider bleibe ich an einem Elektrorollstuhl im Gang hängen.