Mario Barth für Anfänger oder wie man das KUK in Gera rockt

Ich habe alles perfekt vorbereitet. Eine Frau würde diesen Aufwand betreiben, wenn sie dem künftigen Papa von der Schwangerschaft in Kenntnis setzen will. Der Tisch ist fein gedeckt, ich habe gekocht und sogar an die Servietten gedacht. Selbstverständlich zu Seerosen gefaltet. Karla wird staunen.
Endlich sitzt sie vor mir, das Knistern in der Luft können die Nachbarn hören und sie schaut erwartungsfroh zu mir.
»Karla, du wirst es kaum glauben!«, platze ich heraus. »Ich werde im Kultur- und Kongresszentrum vor sechshundert Frauen lesen!«

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Ich nehme eine Pose an, die irgendwo zwischen »Ein kleiner Schritt für mich, aber ein großer für die Menschheit« und »Ich bin ein Berliner!« liegt, greife zum Weinglas und erhebe es voller Freude. Karla kann offenkundig meinen Enthusiasmus nicht im Entferntesten teilen. Gelangweilt greift sie zum Glas, führt es in meine Richtung und mault: »Allein?«
Ich spüre sie bereits im kleinen Zeh. Dann kriecht sie hoch, passiert meinen Geschlechtstrakt unbemerkt und macht sich in meinem Bauch breit. Wut. Unbändige Wut, die genügend Kraft freisetzen kann, um Karla mit einem Satz an die Kehle zu springen und ihrem ungerechten Dasein ein Ende zu setzen. Wut, die ausreicht, um die Seerosenservietten in ihren wohlgeformten Mund zu stopfen, bis diese wunderschönen blauen Augen aus den Höhlen treten und aus ihren feinen, aus mir völlig unerklärbaren Gründen gänzlich unbehaarten Nasenlöchern ein letzter Rotzfaden fließt und schließlich das Röcheln endet. Doch statt das Sinnvollste zu tun, entfährt es meinem Mund: »Nein! Mit den Donkosaken! Und im Vorprogramm von Helene Fischer.«
Ich weiß genau, dass ihre Schlangenseele mit diesem »allein« nicht die Besetzung der Bühne und die Lesung an sich meint. Die Glucke in ihr will sicherstellen, dass keine der sechshundert Frauen in mein Beuteschema passt und deshalb will sie hinter dem Vorhang mit Laserblitzen aus ihren Augen jede Metze niederstrecken, die auch nur im Entferntesten Avancen erahnen lässt, sich mir zu nähern. Statt mir meinen Erfolg neidlos zu gönnen, weckt diese große Chance niedere Instinkte bei meiner Karla. Ich bin so enttäuscht von ihr. Und noch immer wütend.
»Ich wollte doch nur wissen, ob es der einzige Programmpunkt ist, da musst du mich nicht gleich so anfahren!«
Im Geiste sehe ich Karla eine dreijährige Lehre als Schmied in den nächsten drei Wochen erfolgreich absolvieren, um mit großer handwerklicher Meisterschaft einen Keuschheitsgürtel als purem Stahl für mich zu fertigen. Frauen können so etwas. Aber vielleicht meint sie es ja wirklich ehrlich, wer weiß. Frauen sind so undurchschaubar. Für einen Moment bereue ich es, nicht mit einem Hund zusammenzuleben. Der hätte mir andächtig gelauscht, mit dem Schwanz gewedelt und mich angelächelt. Dann hätte er ein Leckerli bekommen und mir durch das Lecken seiner Eier gezeigt, wie einfach es sein kann, ohne eine Frau zu leben. Stattdessen sitzt Karla vor mir und sieht mich noch immer unbeeindruckt an.
»Nein, ich bin nur ein Programmpunkt von vielen, aber es ist immerhin eine große Chance!«
»Und wann soll das sein?«, fragt sie so freundlich, als wäre sie plötzlich mein weiblicher Kumpel.
»Zwei Tage vor dem Frauentag. Die Damen bekommen ein Potpourri aus verschiedenen Programmpunkten wie Musik, Kabarett, Klamauk, Striptease und eben Lesung. Ein bisschen Kultur muss ja auch sein.«
»Das freut mich total für dich! Und da kommen wirklich sechshundert Frauen? In Gera? Wie alt sind die denn? Über oder unter hundert?«
Karla lacht. Ich finde das keineswegs witzig. Der Durchbruch ist nah und Karla witzelt auf meine Kosten.
»Laut Veranstalter sind alle Altersgruppen vertreten. Also ab dreißig und sicher auch bis in die sechzig. Aber überleg doch mal! Sechshundert Frauen!! Und ich lese dort.«
Karla steht auf, nimmt mich bei der Hand und zerrt mich ins Schlafzimmer. Während sie die Tür hinter uns schließt, sagt sie zwischen wilden Küssen: »Dann werde ich mal dafür sorgen, dass du trotz aller Aufregung ruhig schlafen kannst.«
Die Nächte vor dem großen Tag kann ich nicht nur durch Karla gut schlafen. Ich bin einfach bereit. Kultur- und Kongresszentrum, pah! Ich kann auch in der O2-Arena lesen oder in Wembley vor einhunderttausend Frauen. Im Geiste sehe ich mich bereits vor der größten Sammlung weiblicher Kleidungsstücke, die je bei einer Lesung zusammengetragen wurden. Tangas, BHs und Pantys erwarte ich. Papierberge mit Telefonnummern. Eine Lesung vor sechshundert Frauen im Kultur- und Kongresszentrum kann nur ein Erfolg werden.
Am Tag der Veranstaltung stehe ich erwartungsfroh in den heiligen Hallen. Die Tische vor der Bühne sind gedeckt, emsig wuseln Kellnerinnen durch die Gänge und richten letztmals Servietten, Teller und Tassen. Für das Frauenvolk haben sich im Foyer diverse Anbieter breitgemacht. Kosmetikstudio, Laserhaarentfernung, Sport mit Babys, Sport ohne Babys, Yoga und ein Erotikshop. Die Frauen werden begeistert sein.
Dann öffnen sich die Schleusen, durch die sich gleich östrogenschwangere Horden kultur- und literaturbegeisterter Damen aus Gera, Ostthüringen, ja der Welt in die heiligen Hallen ergießen. Ich warte gespannt mit den anderen. Minute um Minute verrinnt. Sie müssen doch gleich da sein? Wo bleiben die nur? Ich habe doch diese AXE-Werbung mit den rennenden Weibern und den wogenden Brüsten gesehen und sogar selbst ein frisches Deo aufgelegt! Gleich kommen sie den Gang auf mich zugelaufen wie Bruce Willis und die anderen Helden in »Armageddon«. In meinen Ohren entfaltet eine heroische Musik orchestrale Wellen, als ich die erste Reihe erblicke, die Musik sofort verstummt und mein Mund aufklappt.
Es wird keine Tangas und BHs regnen. Im besten Fall sind es Stützstrümpfe und Gebisse. Statt der Telefonnummern werden es die Kontaktadressen diverser Pflegedienste. Ich bekomme unendlich großen Durst. Verlangen nach einem alkoholischen Getränk. Ich sehe hellgraue Haare, dunkelgraue und blaue. Die meisten Damen können sich noch frei bewegen, nicht wenige aber kommen mit Unterstützung von Rollatoren auf mich zu. Es sind keine scharfen Miezen zwischen dreißig und fünfundvierzig dabei. Es sind Frauen mindestens jenseits der sechzig, die zu einem Kaffeekränzchen für Hochbetagte kommen. Solche, die froh sind, den Alten für ein paar Stunden für ein Stück Kuchen, einen Kaffee und Eierlikör allein Trübsal blasen zu lassen oder die die immergleichen Heiminsassen sich und ihrem Schicksal überlassen.

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In Schockstarre verbringe ich die Zeit bis zu meiner ersten Lesung. Ich werde anmoderiert, gehe auf die Bühne, lächle in das Dunkel und zu den Seniorinnen in den ersten drei Reihen. Tief durchatmend setze ich mich, rücke das Mikro zurecht und beginne zu lesen. Nach einer gefühlten Minute wenden sich die Damen ihren Gesprächen zu. Kaum eine nimmt Notiz von mir. Wenn ich das noch meiner Oma erzählen könnte, würde sie mir kein Wort glauben. Kein Anstand, nicht im geringsten. Ich glaube, dass ich von der Bühne gehen könnte, ohne dass sie es merken. Doch ich lese die Geschichte zu Ende und verabschiede mich brav. Nach diesem Erlebnis steuere ich zielgerichtet zum Stand der Kollegin Huster, die zielgruppengerecht gedacht und ihren Stand mit Heiltees, Kräuterkissen und Eierlikör ausgestattet hat. Ich trinke direkt aus der Flasche und warte geduldig bis zu meinem zweiten Auftritt.
Wieder gehe ich auf die Bühne. Die Damen blicken, soweit sie es können, nach oben und wenden sich dann wieder ihren Nachbarinnen zu. Ich überlege kurz, ob ich etwas sage wie: »Hallo, nach einer kleinen Menopause bin ich wieder für Sie da!«
Doch ich komme hier mit feinem Humor nicht weiter. Deshalb sage ich: »Ich habe das Gefühl, dass Sie mir vorhin nicht zugehört haben. Das kann aber auch an mir liegen und deshalb«, ich erhebe mich und lege das Buch zur Seite, »werde ich für Sie strippen.« Während ich beginne, mein Hemd auszuziehen, wird der Raum kurz in Stille gehüllt, gefolgt von rhythmischem Klatschen und lautem Johlen. Wenn das der Opa wüsste! Da lässt er die Olle zum Kultur- und Kongresszentrum wackeln und das alte Luder geifert durch das Kassengebiss, während sich ein mittelmäßiger Schriftsteller das Hemd vom Leib reißt! Ich bin erschüttert! Das Hemd werfe ich auf den Boden, ich setze mich und sage, dass ich nun doch lesen werde. Diese verdammten Schachteln beginnen zu schnattern. Ich bringe die Geschichte hinter mich und gehe dann hinter die Bühne. Dort angekommen habe ich wieder ohnmächtigen Durst. Der DJ spielt Musik zur Überbrückung bis zum nächsten Programmpunkt. In diesem Moment kommt eine Oma zu ihm. »Können Sie bitte die Musik leiser machen?«, schreit sie ihn an. Sie hat eine Brille, dick wie Panzerglas auf ihrer Nase. Der Star aus Gera. Wahlweise in grau oder grün. Ich schaue dem DJ in die Augen, wir nicken einander zu und ich renne in Rekordgeschwindigkeit zu meiner nächsten Flasche Eierlikör. Beinahe schaffe ich es. Leider bleibe ich an einem Elektrorollstuhl im Gang hängen.

Worstseller 2015

Der Herr Verleger ruft wieder einmal an.
„Jischinski, kommen Sie am nächsten Sonntagabend mit zum Essen? Ich will ein kleines Verlagsfest feiern und ich lade alle Autoren ein. Sogar Sie.“
„Ja, gern. Freut mich“, antworte ich pflichtschuldig.
„Klasse! Die Hansen kommt auch und die Hustern. Die Verlagsmiezen halt. Bei der Gelegenheit werde ich auch die Verkaufszahlen für das letzte Jahr veröffentlichen und es gibt schon mal die Tantiemenabrechnung in die Hand gedrückt.“
„Das freut mich aber! Ist da auch eine für mich dabei?“, frage ich hoffnungsfroh.
„Jetzt werden Sie mal nicht vermessen, Jischinski! Ich schaue in Ruhe nach und dann machen wir eine schöne interne Hitliste. Ich hoffe, dass der Neumeier und die Nau auch noch kommen, dann hätten wir alle beisammen. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass ich schon wieder in Vorleistung gehen muss. Der Welterklärer Zwo und Ihre irische Geschichte hauen ganz schön ins Kontor.“

Iren ist menschlich
Da er schweigt, sage ich „Hm, aber vielleicht werden zur Abwechslung mal ein paar verkauft.“
„Bei der Hustern mache ich mir keine Sorgen, aber Ihr Schinken? Nicht, dass ich Ihre Schreibe nicht mag, aber seit ‚Ein Mann unter Druck‘ haben Sie keinen Roman mehr zuwege gebracht. Für ‚Spatzenmuse‘ und ‚Wankelmuse‘ brauchten Sie die Hilfe vom Sahneschnittchen Hansen. Mit der würde ich ja auch mal was schreiben, aber noch lieber würde ich ihr die Leviten lesen. Aber lassen wir das. Die Leute wollen nicht Ihre kurzen, aber angenehm kranken Geschichten lesen, sondern was langes, mehrere Abende füllendes. Einen richtigen Roman eben. Fragen Sie mal den Neumeier!“
Er hat ja recht. Ich sollte mal wieder ein richtig schön langes Romanprojekt angehen. Dabei habe ich ja einen in der Schublade. Komplett fertig, aber wenn ich den vorlege, denkt der Verleger, dass ich jetzt eine Vollmeise habe und wenn er es doch machen würde, denken die Leser, dass ich nun komplett meschugge bin. Zumindest die zehn, die ihn lesen werden.
„Jischinski, sind Sie noch dran?“
„Ja.“
„Jetzt machen Sie mal keinen auf Mimose! Und ich glaube, dass Sie auch mal ein Honorar bekommen. Lassen Sie sich überaschen. Wussten Sie eigentlich, dass der Diogenes Verlag veröffentlicht, welches seine Worstseller sind?“
„Ja“, sage ich traurig.
„Von Brian Moores ‚Hetzjagd‘ wurden gerade einmal 74 Bücher im Jahr 2012 verkauft. Da wären Sie froh, wenn Sie das hätten und wir würden fast von einem Bestseller sprechen, oder?“
Ich lasse den Herrn Verleger ganz in Ruhe auslachen. Dann fängt er sich.
„Vielleicht klappt es ja wirklich mit diesem irischen Schinken. Und denken Sie daran, dass es noch schlimmere Erfahrungen für wesentlich bekanntere Schreiberlinge gibt. Von Liam O’Flahertys ‚Silbervogel‘ hat der Diogenes Verlag im Jahr 2012 nur ganze 30 Stück verkauft.“
„Das habe ich sogar!“
„Ich wusste es! Sie sind in jeder Beziehung ein Ladenhüter!“

Unser Bestseller 2015

Kaum war ich auf der Mitteldeutschen Buchmesse in Pößneck, sprossen die Ideen wie junge Triebe aus einem totgeglaubten Baum. Mit dem Herrn Verleger habe ich ein neues Buchprojekt ersonnen, für das sich Titel und Cover sofort in einer gemeinsamen Ideenblase materialisierten. Das Feuilleton wird begeistert sein! Wir überlegen noch, ob wir alle Seiten frei lassen (ca. 200) oder ob wir auf die ersten einhundertneunzig Seiten schreiben „Diese Seite bleibt aus drucktechnischen Gründen frei.“ Die übrigen zehn, dann tatsächlich freien Seiten bleiben der intellektuellen Verbalonanie des Lesers vorbehalten, den inhaltlichen Widerspruch der ersten 190 Seiten aufzulösen. Es steht dem Leser frei, diese Seiten aus dem Buch zu entfernen und seine Lösung des philosophischen Problems an den Verlag zu schicken. Der Herr Verleger wird die besten Beiträge entweder in einer Anthologie veröffentlichen oder aber dem Kachelofen zuführen.

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Als Ausstattungsvariante kommt einzig und allein ein Hardcover mit Textilbezug, Lesebändchen und Schutzumschlag in Frage. Der Deutsche Buchpreis 2015 ist uns somit sicher. Welche Seiten wir in das Leseheftchen der Longlist 2015 drucken lassen, ist noch nicht klar. Fest steht bisher nur, dass der Herr Verleger drei Angebote von Druckereien aus Billiglohnländern einholen und davon das Billigste nehmen wird. Vorbestellungen werden ab jetzt entgegengenommen. Der Preis des Buches wird 19,90 EUR betragen. Sollte das Projekt wider Erwarten nicht realisiert werden, wird der Kaufpreis nicht zurückerstattet. Stattdessen erhält der bereits solvente Käufer eine vom Autor signierte Packung Kopierpapier per Post zugeschickt. „Ich wollte schon immer so ein verdammt intellektuell wertvolles Buch schreiben, dessen Titel über das gesamte Cover reicht und bei dem man nicht einmal im Ansatz erahnt, worum es geht.“ – unser Bestseller für 2015.

Buchmesse in Pößneck

Was für ein wunderbares Wochenende in Pößneck! Vielen Dank an alle, die dazu beigetragen haben: Dank dem Team der Mitteldeutschen Buchmesse, dem Verein Pößneck Alternativer Freiraum e.V., Herrn M. Kruppe, dessen Vorname an dieser Stelle verschwiegen werden soll, wie er auch für immer verschwiegen bleibt, dem tollen Team vom adakia Verlag mit Nicole, Jana, Dana und Thomas, den vielen Lesern und Zuhörern, Heiko von der gastronomischen Abteilung, der mich so wunderbar daran erinnerte, dass wir uns aus dem Swingerclub kennen, und nicht zu vergessen: Hochachtung vor der Dame, die mit einer beeindruckend stoischen Ruhe und mit großer Beherrschung zwei Tage lang die Toilette neben unserem Stand bewacht hat. Ein Lehrbeispiel für echte Zen-Philosophie. Vollkommene Absichtslosigkeit, Bescheidenheit und Leben im Hier & Jetzt. Wir konnten viel von der Dame lernen. Und dabei sogar zeitweise den Chlorgeruch vergessen, der wie eine sanfte Meeresbrise zu uns herüber mäanderte.

1957865_647579358658599_4825469817701260419_o Der vornamenlose M. Kruppe mit mir beim Interview auf dem Roten Sofa.

 

Knapp 70 Verlage präsentierten sich und ihre Bücher vom 13. bis 15.06.2014 in der Shedhalle in Pößneck. Im Dienste des adakia Verlages prostituierten sich die Autoren Jana Huster, Dana Schwarz-Haderek, Thomas Neumeier und ich zwei Tage lang unentgeltlich, um die literarischen Machwerke zu präsentieren. Der Pößnecksche Hochadel und Pöbel erschien und flanierte durch die Ausstellungshallen, die prall mit Literaturvolk jeder Couleur gefüllt waren.

10418907_240727822794825_6477402772078292931_n Spatzenmuse, Wankelmuse und ironisch. Ab und zu muss ich so ernst dreinschauen. Ich habe das auf Fotos von Autoren abgeschaut, die es geschafft haben.

 

Mit Jana Huster habe ich wieder einmal in Abwesenheit ihres werten Gatten viel Spaß gehabt. Es haben uns dabei sogar einige Menschen zugeschaut und auch die hatten ihre Freude. Wir werden uns demnächst Projekte suchen, die etwas erdiger, wenn nicht sogar friedhofsnah sind. Diese törichte Leichtigkeit und schale Verballhornung des ernsten Lebens geht so einfach nicht weiter. Das Leben ist viel zu traurig, als dass wir darüber lachen könnten. Wir geloben deshalb Besserung und schreiben demnächst richtig doll traurige Bücher. Der Herr Verleger vom adakia Verlag war so freundlich, uns eine Vorlage zu geben: Sein Sparbuch.

10301509_784462844927668_385424410769176564_nDie Frau Huster und ich, noch fröhlich. Aber das ändert sich bald.

Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär!

Grüner Fußball Rasen - Green Soccer Grass

»Wo ist Jacky?«, frage ich Adam, der hinter dem Tresen steht und ein Timothy Taylor’s für einen der Gäste des Pubs zapft. Ich bin auf der Suche nach der Chefin vom »Jolly Brewers«, um herauszufinden, ob ich mein Zimmer noch bezahlen muss, oder ob es bereits bezahlt wurde. »Sie raucht draußen«, antwortet mir Adam knapp. Die Briten mussten bereits deutlich vor uns das Rauchen an die frische Luft verlegen, weshalb sich immer üppige Menschentrauben vor den Pubs bilden, die immense Rauchzeichen an andere Pubs verschicken. Ich finde Jacky im Nebel und sie sagt mir, dass ich nichts mehr zu bezahlen hätte. Ich freue mich und will mich von ihr verabschieden, weil ich am nächsten Morgen abreisen werde. Sie aber zieht mich zu sich. »Mein lieber Deutscher, so geht das nicht! Du musst zum Abschied noch ein Pint mit mir trinken!«
»Nein, Jacky, lass mal«, antworte ich freundlich, »ich habe während der letzten Woche in England so viel Bier getrunken wie sonst in einem Jahr zu Hause.«
Sie legt den Kopf schief und sagt langsam: »Aber ein Whisky ginge dann schon, oder?«
»Das ist etwas anderes«, sage ich ihr und schon hat sie mich ins Pub und hinter die Bar geschoben. Sie zeigt in das obere Regal.
»Such dir einen aus!«, sagt sie einladend. Ich greife zum »Monkey Shoulder«, weil es der Einzige ist, den ich nicht kenne.
»Schenk dir ein, soviel du magst«, sagt mir Jacky. Sie ist eine kleine, quirlige Frau von sechzig Jahren mit einem Haarschnitt, der mich irgendwie an die Beatles erinnert. Unter dem grauen Schopf schauen mich zwei neugierige braune Augen an, und wenn sie lächelt, zeigt die Zahnlücke links oben, dass alle Vorurteile gegenüber dem britischen Gesundheitssystem berechtigt sind. Ich gieße mir vorsichtig etwas ins Glas, was Jacky sofort korrigiert, indem sie es fast bis zum Rand füllt.
»Du bist mein Gast«, sagt sie bestimmt. Trotzdem muss sie in die Küche gehen, wofür sie sich entschuldigt. Ich bleibe nicht lange allein. In einem britischen Pub geht das auch schlecht. Steve kommt zu mir. Ein groß gewachsener Kerl mit der Statur eines Rugby-Spielers. In seiner linken Hand hat er ein Ale und mit der rechten zeigt er auf meinen Whisky.
»Weißt du überhaupt, warum der so heißt?«, fragt er schon fast lallend.
»Ja«, antworte ich grinsend. Das Erstaunen kann Steve nicht nur wegen des Alkohols in seinem Körper nicht verbergen. »Lass hören«, fordert er mich auf.
»Es ist ein Blended Whisky, der zu Ehren der Männer benannt wurde, die auf den Mälzboden die Gerste wenden. Da sie das ein Leben lang machen und immer schwer mit den Schaufeln arbeiten, bekommen sie einen Haltungsschaden, der ›Monkey Shoulder‹ genannt wird.«
Steve schaut mich an, als wäre ich der Papst, der die abtrünnigen Protestanten besucht, um ihnen am Ende doch noch recht zu geben.
»Shit«, sagt er treffend. Er fragt dann noch, ob ich auch noch den Unterschied zwischen einem Blended Whisky und einem Single Malt kenne. Auch da kann ich ihm weiterhelfen, während sich mein Glas wie von Geisterhand leert.
»Wer wird Fußball-Weltmeister?«, fragt Steven plötzlich. Ich lache und sage ihm: »England sicher nicht!«
»Vorsicht! Wir sind ohne Niederlage durch die Qualifikation gekommen und wir werden beim Titel ein Wörtchen mitreden!«
Wie sagte Tony Schumacher einst: »Ich habe das Gefühl, England ist nicht mehr das Mutterland des Fußballs, sondern eher das Großmutterland.« Sollte ich ihm das sagen? Mir fällt auch noch ein anderes schönes Zitat ein, das sich aber nicht so gut ins Englische übertragen lässt: »Vom Feeling her habe ich ein gutes Gefühl« – Andy Möller.
»Vielleicht sind wir mal wieder dran. Den letzten Titel gab es 1996 bei der Europameisterschaft. Und da haben wir übrigens im Halbfinale gegen euch gewonnen!« Ich proste ihm zu. »Im Elfmeterschießen!« Der Whisky schmeckt wirklich gut.
»Warte es ab! Wir gewinnen gegen Italien im ersten Spiel, dann auch gegen Uruguay und schließlich noch gegen Costa Rica. Als Gruppenerster spielen wir gegen Griechenland oder Kolumbien und im Viertelfinale hauen wir die Spanier raus. Im Halbfinale treffen wir auf Argentinien und euch schlagen wir dann im Finale auch. Mein Tipp fürs Finale lautet England gegen Deutschland 3:1. Du kannst jetzt noch einen Whisky auf Jackys Kosten trinken.« Er grinst mich an und leert sein Glas.
»Mach dir einfach keine Hoffnungen, lieber Steve«, sage ich schließlich, »ihr werdet nie gegen uns gewinnen, weil wir im Gegensatz zu euch immer mit einem Torwart spielen.«
Steves Gesichtsausdruck sagt mir, dass ich gewonnen habe.
»Und wer wird bei euch Meister?«, frage ich ihn, um die leidige Diskussion des kommenden Weltmeisters abzuschließen.
»Manchester City. Ganz klar. Die gewinnen die letzten Spiele, da kann Liverpool machen, was es will. Ich bin aber Tottenham-Fan.«
Jacky kommt zu uns. »Na, Männer, worüber sprecht ihr?«
»Sex«, sage ich schnell.
»Fußball«, Stephen.
»Nur gut, dass ihr euch einig seid. Und, wer wird Weltmeister?«
»England«, lallt Stephen.
»Deutschland oder Brasilien, Hauptsache, der Weltmeister kommt aus Europa!«
Sie sehen mich fragend an.
»Das war ein Insider. Fragt Andy Möller.«

Senfgas in Lübbenau

Aufgrund der aktuellen politischen Entwicklungen noch einmal zur eindringlichen Mahnung:

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Es wird immer schwieriger, die Waren zu verkaufen. Das denkt Pavel, als er seinen Wagen vom Markt schiebt. Von früh um sieben bis abends um acht steht er jeden Tag auf Märkten. Pavel kommt aus Bautzen und fährt zwischen seinem Heimatort, Kamenz, Hoyerswerda, Vetschau und Lübbenau hin und her. Er verkauft vor allem an Touristen Kamenzer Würstchen, Sorbische Leberwurst, aber auch die Klassiker wie Original Spreewälder Gurken und Bautzner Senf. So landet die sorbische Tradition wenigstens in den Bäuchen, wenn es schon mit den Köpfen nicht klappt. Endlich ist das Tagwerk geschafft. Die Tage sind kürzer geworden und es dämmert bereits, als er zusammenpackt und alles im Transporter und auf den Anhänger verladen hat. Wie jeden Abend, wenn er startet, ruft er seine Frau an.
»Hallo Schatz, ich starte jetzt«, legt er gleich los.
»Schön! Aber heute bist du in Lübbenau, nicht wahr? Das heißt, dass es erst später wird, ja?«, fragt ihn seine Frau, die sich insgeheim schon auf einen angenehmen Weiberabend daheim in Bautzen freut.
»Ja, tut mir leid«, sagt Pavel, »mit unserem gemeinsamen Abendessen wird es heute nichts. Sei mir nicht böse, ja?«
»Mach dir keine Sorgen, mein Liebling, ich mache es mir gemütlich und warte auf dich«, sagt sie, während sie in der Programmzeitung blättert. »Vielleicht kommt Ina noch rum und leistet mir Gesellschaft«. Hatte Ina nicht gesagt, dass sie eine DVD mitbringt? Eineinhalb Stunden wird Pavel mindestens brauchen.
»Gut, bis später dann«, antwortet Pavel.
Dann startet er den Transporter und fährt los. Er ist müde und erschöpft vom Markttag. Den lieben langen Tag nur Reden und Überzeugen. »Wollen Sie probieren?«, »Ich kann Ihnen auch einen Rabatt geben.«, »Das ist alles ganz natürlich und ohne Konservierungsstoffe.« Immer wieder dieselbe Leier, um ein paar Euro zu verdienen. Von denen er dann die Rate für den Wagen zahlt, die Standmiete, die Krankenversicherung und ein klein wenig fürs Leben. Zumindest von dem Rest, den ihm dann noch das Finanzamt lässt. Nicht zu vergessen der Beitrag für den Traditionsverein der Sorben. Er schaltet das Radio ein. Der Konflikt in Syrien spitzt sich zu. Präsident Backaroma will einen Blitzkrieg und braucht dazu die Zustimmung des Kongresses. Blitzkrieg. Wie schön das klingt, denkt Pavel. Und als Anlass brauchen sie doch am Ende nur einen neuen Sender Gleiwitz, ein neues Attentat in Sarajevo. Einfach nur ein paar unwiderlegbare Beweise. Die Geschichte des Krieges wird immer vom Sieger geschrieben, war es nicht so? Wie er so gedankenverloren den Wagen lenkt, bekommt er gerade noch mit, dass ihm auf einer Brücke ein Mopedfahrer so überholt, dass er scharf ausweichen muss. Der Transporter gerät ins Schlingern und der Anhänger kippt fast um. Endlich kommt er zum Stehen, sein Puls hämmert in seinen Adern und er schnauft. Pavel sieht in den Rückspiegel. Nichts passiert. Auf den ersten Blick zumindest. Der Mopedfahrer ist auf und davon. Er steigt aus und geht zum Anhänger. Die Plane hat sich gelöst und eine Stiege Bautzner Senf ist heruntergefallen. Auf einer Strecke von fünf Metern liegen die Gläser verteilt. Nun sieht er auch, dass ein paar Gläser bedrohlich nah am Rand der Brücke liegen. Er geht bis zur Brüstung und schaut nach unten. So ein Mist! Ein Senfglas ist nach unten gestürzt und es muss einem Passanten direkt auf den Kopf gefallen sein. Der liegt auf dem Boden, sein Kopf blutet und um ihn herum steht eine Menschentraube. Einige zeigen nach oben und Pavel spürt sofort, dass Wegrennen ziemlich sinnlos sein wird. Er muss die Verantwortung dafür tragen. Und vor allem wird es länger dauern. Er ruft seine Frau an.
»Du Schatz, ich hatte fast einen Unfall.«
»Was?? Geht es dir gut? Soll ich zu dir kommen?«, fragt seine Frau besorgt und unterdrückt dabei das Knirschen der Chips in ihrem Mund.
»Nein, das musst du nicht. Mir geht es gut. Ich musste nur einem Idioten auf einem Moped ausweichen, dabei ist eine Stiege mit Senf vom Anhänger gerutscht und da ich auf einer Brücke war, ist leider ein Glas nach unten gefallen. Und das hat einen Mann am Kopf getroffen. Es war ja keine Absicht von mir. Warum sollte ich das tun? Ich verübe schließlich keinen Anschlag mit einem Senfglas! Aber nach ihm schauen muss ich schon.«
Sie versichern sich noch eine Weile, dass wirklich alles in Ordnung ist und Pavel sich um den Verletzten kümmern kann, während die Frau sich bei Chips und Wein den Abend um die Ohren schlagen muss. Pavel steigt schweren Schrittes die Stufen hinab und bewegt sich auf den Verletzten zu.
Derweil bewegen sich unzählige Datenmengen in einem scheinbaren Labyrinth. Gesprächsfetzen werden aufgezeichnet, ausgewertet, gesammelt und verteilt. Spracherkennungsprogramme lassen Prüfungsalgorithmen ablaufen. Sie sind genau geeicht und erkennen selbst kryptische Informationen. In Fort Mead sitzt Pawel, Urenkel sorbischer Einwanderer in die USA, vor seinem Bildschirm und erhält eine verdächtige Information.
»Anschlag mit Senfgas.«
Er spielt den Mitschnitt noch einmal ab.
»Anschlag mit Senfgas«, ganz klar!
Oh Gott! Das kann doch nicht wahr sein. Vor allem nicht, weil es ganz eindeutig aus Deutschland kommt. Ein Anschlag mit Senfgas in Deutschland? Er hört sich die Aufzeichnung noch einmal an. Dann schaut er auf die Nummer, den Aufnahmeort und stellt die Person fest. Ein Pavel. Lustig. Ein Namensvetter in Deutschland. Und ein Sorbe ist er auch noch. Er lässt die Datenbank arbeiten. Oha. Dieser Pavel tritt offen für die Unabhängigkeit der Sorben in Deutschland ein und fordert die Abspaltung. Das liegt offen auf der Hand: Ein Rebell, der die Unabhängigkeit der Sorben in Deutschland fordert, plant einen Anschlag mit Senfgas, um seine Forderungen durchzusetzen. Nun ist Eile geboten. Pawel greift zum Handbuch für Notfälle und studiert die Abläufe.
Einige Stunden später beugen sich zehn Männer und zwei Frauen an einem Tisch über Ausdrucke und verfolgen auf einem Flatscreen die Datenanalyse. Ganz eindeutig. Ein Senfgasanschlag der Sorben Deutschland! Das kann unmöglich sein! Aber die Datenlage ist eindeutig. Präsident Backaroma schaut zu Außenminister Kerrygold. »Was sollen wir tun?«
»Die USS George H.W. Bush ankert vor Hamburg«, antwortet Kerrygold. »Eigentlich sollen unsere Jungs vor Beirut in Stellung gehen, um Damaskus ins Visier zu nehmen.«
»Hm«, antwortet Backaroma weltmännisch. »Wie schnell können sie in …« Er schaut noch einmal in die Akten »… Lübbenau sein?«
»Über die Nord- und Ostsee, die Oder und die Neiße geht das ganz schnell.«
»Wir müssen die Zentrale der Rebellen ausschalten!« Backaroma merkt, dass ihm keiner zuhört. Wie immer in diesem Sauladen. Und nicht einmal eine Kamera ist in der Nähe.
»Hm«, räuspert er sich und hat sofort die volle Aufmerksamkeit. »Bringt die Kameras her!«, befielt er einem Statisten, der hastig das Tablett mit den Häppchen beiseite stellt und den Raum verlässt. Ein Pult wird herbeigeholt, eine Kamera davor drapiert. Backaroma lässt sich pudern, dann tritt er vor das Pult. Die Kamera läuft.
»Guten Morgen, liebe Landsleute, liebe Brüder und Schwestern in Deutschland! In einer der schwersten Stunden stehen wir unserem Bündnispartner Deutschland zur Seite. Wir werden erstens die Lübbenau-Frage, zweitens die Frage des Korridors der Sorben lösen und drittens dafür zu sorgen, dass im Verhältnis Deutschlands zu den Sorben eine Wendung eintritt, eine Änderung, die ein friedliches Zusammenleben sicherstellt. Ich bin dabei entschlossen, so lange zu kämpfen, bis entweder die derzeitige provisorische sorbische Regierung unter Pavel geneigt ist, diese Voraussetzung herzustellen, oder bis eine andere sorbische Regierung dazu geneigt ist. Ich will von den deutschen Grenzen das Element der Unsicherheit, die Atmosphäre ewiger bürgerkriegsähnlicher Zustände entfernen. Ich will dafür sorgen, dass im Osten der Friede an der Grenze kein anderer ist, als wir ihn an unseren anderen Grenzen kennen. Ich will dabei die notwendigen Handlungen so vornehmen, dass sie nicht dem widersprechen, was ich Ihnen hier und im Kongress selbst als Vorschläge an die übrige Welt bekanntgab. Das heißt, ich will nicht den Kampf gegen Frauen und Kinder führen. Ich habe meinen Streitkräften den Auftrag gegeben, sich auf militärische sorbische Objekte bei ihren Angriffen zu beschränken. Wenn aber der Gegner daraus einen Freibrief ablesen zu können glaubt, seinerseits mit umgekehrten Methoden kämpfen zu können, dann wird er eine Antwort erhalten, dass ihm Hören und Sehen vergeht! Die Sorben haben heute abend zum erstenmal auf dem Territorium eines Bündnispartners mit Senfgas angegriffen. Ab 5.45 Uhr wird zurückgeschossen! Und ab dann wird Senfgas mit Senfgas vergolten! Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft. Wer selbst sich von den Regeln einer humanen Kriegsführung entfernt, kann von uns nichts anderes erwarten, als dass wir den gleichen Schritt tun. Ich werde diesen Kampf, ganz gleich, gegen wen, so lange führen, bis die Sicherheit des amerikanischen Volkes und seiner Bündnispartner gewährleistet ist. Und ich habe hier und heute wieder jenen Rock angezogen, der mir einst selbst der heiligste und teuerste war. Ich werde ihn nur ausziehen nach dem Sieg, oder ich werde dieses Ende nicht erleben!«
»Klasse Rede, Mister President«, sagt Kerrygold. »Die Aufzeichnung geht dann gleich raus an alle Sender und ich habe den Marschbefehl an unsere Jungs weitergeleitet.«
Währenddessen freut sich ein erschöpfter Pavel, als er sich im Krankenhaus über den schlafenden Verletzten beugt, dass dieser nur eine kleinere Wunde und eine Gehirnerschütterung hat. Keine bleibenden Schäden, das Senfglas hat ihn nur gestriffen. Glück gehabt.