Das U wird ein V und alles wird wieder gut. Der in unzähligen durchwachten Nächten sicher geglaubte Untergang kommt nicht. Denn im Gegensatz zu anderen, bemitleidenswerten Nationen werden wir von Experten regiert. „Experte/Expertin ist eine Person, die über überdurchschnittlich umfangreiches Wissen auf einem Fachgebiet oder mehreren bestimmten Sacherschließungen oder über spezielle Fähigkeiten verfügt. Neben dem theoretischen Wissen kann dessen kompetente Anwendung, also praktisches Handlungswissen, für einen Experten kennzeichnend sein.“ (Quelle: Wikipedia)
Bitte stolpern Sie hier nicht über das Wort „kann“, das sich vor die „kompetente Anwendung“ geschlichen hat, hier muss der Eintrag in Wikipedia geändert werden, denn es ist offenkundig falsch. Was in diesen Tagen falsch und richtig ist, wagen wir kaum noch zu beurteilen. Doch ich möchte die Gelegenheit nutzen und die Weitsicht der politisch Handelnden im nachfolgenden Text anhand des Buchhandels loben. Ich beanspruche dabei nicht eine Form von Wahrheit oder Wissen, Sie müssen dazu weder in ontologische, noch in metaphysische Bereiche abgleiten, der gesunde Menschenverstand genügt. Der steht zwar inzwischen auf der Roten Liste, aber ausgerottet ist er noch nicht.
Unsere zu vielen Dingen fähige Bundesregierung hat mittels ihres Expertenwissens die Herabsetzung des Umsatzsteuersatzes von 7% auf 5% beschlossen. Natürlich auch den von 19 auf 16, eine Prämie dafür, dass Sie ein Kind in diese wunderbare Welt gesetzt haben, das Vorziehen von Rüstungsprojekten mit hoher Wertschöpfung und vieles andere Notwendige mehr. Da ich vorrangig mit Büchern zu tun habe, konzentriere ich mich hier aber einmal auf die Sache des Umsatzsteuersatzes auf Bücher in Höhe von 7%, ab dem 01.07.2020 in Höhe von 5% und ab dem 01.01.21 wieder in Höhe von 7%.
Die Hoffnung unserer Regierung besteht darin, die Wirtschaft neu zu beleben und den Konsum anzukurbeln. Wenn dem Leser bereits jetzt die Mundwinkel zu einem ideomotorisch motivierten Lachen entgleiten, bewahren Sie bitte Ruhe, das ist leider kein Witz. Ich nehme an, dass es in den Düsternissen des Bundesfinanzministeriums in Berlin, in einer kleinen Kammer des Schreckens, einen Bearbeiter – oder eine Expertengruppe – gab, die sich dachte, dass eine Herabsetzung der Umsatzsteuer dazu führt, dass der mit den Hufen scharrende und durch Ausgangssperre, Homeschooling, Homeoffice und Kurzarbeit entspannt, fett und reich gewordene Verbraucher nach Zerstreuung und Konsum lechzt. Und wenn er nun auch noch Ware bekommen kann, die 2 oder 3 Prozent weniger kostet, dann wird er nicht nur die im Lockdown gesparten Gelder verprassen, nein er wird sich in Schulden stürzen, um wie wild zu konsumieren und unser Land zu retten. Ein Lob dieser Expertengruppe.
Nehmen wir an, dass der Konsument frisch gestärkt mit Erspartem, der Kinderprämie und Kurzarbeitergeld in den prallen Taschen, im Handelstempel steht und nach Konsumgütern giert. Wohin zieht es den Deutschen zuerst? Den kulturbeflissenen, niveauvollen und belesenen Bürger? Natürlich in eine Buchhandlung. Und dort wird er ein Taschenbuch sehen, ich nehme hier jetzt mal – nur als Beispiel – das wunderbare Buch „Swinging Village“ des unbekannten Autoren Mark Jischinski. Es kostet 11 Euro, oder sollte ich sagen: „Es kostete…?“ Denn nun müsste es ja nur noch 10,78 EUR kosten. Und ein euphorisches Erstaunen, ein Jauchzen und Frohlocken wird den Konsumenten entfahren, begleitet von einem: „Was, nur noch 10,78? Da spare ich ja 22 Cent!! Geben Sie mir doch bitte gleich zwei!“ Und was sagt der Buchhändler? Er wird erwidern: „Ja, und wenn Sie gleich fünf kaufen, dann sparen Sie 1,10 Euro und können nebenan im 99-Cent-Laden etwas für 96 Cent quasi für umsonst kaufen und haben noch 14 Cent über – also aus dem Ersparten, wenn Sie so wollen aus dem NICHTS.“
Mit dem wissenden Blick des verhinderten Buchhalters wird der Konsument den Zeigefinger auf den Buchhändler halten und sagen: „Sie Schlingel, und wissen Sie was? Wenn ich das konsequent im ganzen Center so weiter mache, schaffe ich nur aus dem Ersparten den Wochenendeinkauf bei der REWE!“
Und noch während sich die beiden mit Freudentränen in den Armen liegen und über die Segnungen von Giral- und Fiatgeld parlieren, wissen Sie als aufmerksamer Bürger, Spiegel-, SZ-, und FAZ-Leser, ja als Bildungsbürger, dass diese Situation nie und nimmer eintreten wird.
Zwar kann der Verlag – in diesem Fall der kleine, aber rührige adakia-Verlag – den Preis auf 10,78 EUR herabsetzen, aber warum sollte er das tun? Um dem einsamen Käufer das Geschenk von 22 Cent zu machen? Das würde er gern tun, aber ein Verlag ist, wie auch ein Buchhändler, ein Unternehmer, der eine Kosten-Nutzen-Abwägung anstellt. Um ein Buch im Preis zu senken, muss ein Verlag im Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB) diese Preisminderung einstellen. Darüber hinaus sollte er – weil die Preise richtig ausgezeichnet werden müssen – Aufkleber für die vorhandenen Bücher bestellen, um die neuen Barcodes mit dem Preis von 10,78 EUR aufzukleben. Allerdings nur für ein halbes Jahr, denn dann macht er das noch einmal anders herum. Sollte nun aber nachgedruckt werden, welcher Barcode empfiehlt sich? Optimistisch der neue, weil ja bis zum 31.12.20 alle „billigen“ verkauft sein werden? Konservativ und mit Aufkleber, weil doch nicht sicher ist, ob alle Menschen in Kurzarbeit oder Arbeitslosigkeit lesen werden? Arbeit über Arbeit für 22 Cent pro Buch. Herzlichen Glückwunsch, allerdings machen wir uns in der Buchbranche schon für weniger krumm.
So, wie der Verleger noch hadert, lacht sich der Leser längst ins Fäustchen, denn im Gegensatz zur Regierungsebene kann der Bildungsbürger rechnen und weiß längst, dass die oben stehende Rechnung gar nicht stimmen kann. Denn bei einem Preis von 11,00 EUR, ist der Nettopreis bei 7% = 10,28 EUR und wenn nun darauf 5%, statt bisher 7% berechnet werden, dann beträgt der Ladenverkaufspreis 10,79 EUR, statt 10,78 EUR. Neben der Erkenntnis, dass dem Verbraucher schon wieder ein sicher geglaubter Cent aus dem Nichts aus der Tasche gezogen wird, fragt sich der Konsument noch eine Weile, wie das passieren konnte, schließlich sind 98 Prozent von 11,00 EUR wirklich 10,78 EUR und nicht 10,79 EUR. Doch spätestens seit den Segnungen, mit denen uns die Regierung aus ihrem nicht enden wollenden Füllhorn künftiger Verschuldung und Armut überflutet, wissen wir, dass wir „von oben“ mit vielem rechnen können, nicht jedoch mit Sachverstand und mathematischem und/oder wirtschaftlichem Geschick.
Wir brauchen nicht an jeder Stelle die Transformation zur Digitalisierung und innovative Disruptionsexperten, die uns den Weg in eine wundervolle Zukunft weisen. An den richtigen Positionen würde es bereits ausreichen, wenn wir jemanden haben, der einen Taschenrechner bedienen kann. Für die jüngeren Leser: „Ein Taschenrechner ist eine tragbare, handliche elektronische Rechenmaschine, mit deren Hilfe numerische Berechnungen ausgeführt werden können.“ (Quelle: Wikipedia) Das Ding kann also schnell und einfach Berechnungen ohne einen PC, einen Laptop oder das Handy durchführen. Klingt komisch, ist aber so.
Wahrscheinlich denke ich aber bei allem zu klein. Nehmen wir nur einen Vielleser, eine echte Leseratte, reich an Wissen, arm an sozialen Kontakten, einen, der in der Lage ist, jeden Monat 20 Bücher zu lesen (kleine Anmerkung: Das liegt leicht über dem Schnitt!). Dann könnte dieser Leser im nächsten halben Jahr 120 Bücher lesen. Und wenn er nun traurig wäre, dass er dabei nur 25,20 EUR spart, dann muss er zu den Hardcover-Büchern greifen, da springt deutlich mehr für ihn raus und unser Land ist ganz nebenbei auch wieder saniert und die Krise ist endlich überstanden.